Die Stadt Chicago am Michigansee, Stadt im Bundesstaat Illiois, möchte über ihren thematisch sehr umfassenden „Pedestrian Plan“ zur fußgängerfreundlichsten Stadt der USA werden. Folgende sechs Fragestellungen waren für einen Handlungsleitfaden für kommunale Fußverkehrsstrategien auch in Deutschland von Interesse:

Am Ende finden Sie die Quellenangabe.

Welches waren die zentralen Gründe und sind die Ziele für die Initiative?

In Anbetracht der Tatsache, dass in Chicago doppelt so viele Fußgänger angefahren und getötet wurden wie im Durchschnitt in den USA und die Stadt einen überproportional hohen Anteil an adipösen Kindern hat, soll Chicago die sicherste Stadt für Fußgänger und überhaupt die fußgängerfreundlichste Stadt in den Vereinigten Staaten von Amerika werden. Außerdem wird eine Verbesserung des gesamten Straßenumfeldes angestrebt sowie die Eliminierung der tödlichen Fußgängerunfälle innerhalb von 10 Jahren. Innerhalb dieses Zeitraums sollen ebenfalls die Unfälle mit schwerverletzten Fußgängern um 50% gesenkt werden.

Gibt es einen Durchführungs-Beschluss?

Der Chicago Fußgängerplan wurde im September 2012 veröffentlicht und ist maßgebend für die Maßnahmen, die (Verkehrs-)Politik und für Programme, die dazu dienen, Chicago zur fußgängersichersten Stadt in den USA zu machen. Der Plan ist das Ergebnis jahrelanger Bemühungen von CDOT, dem Beratungsgremium beim Oberbürgermeister für Fußgängerfragen, sowie von Chicagoer Bürgern aus allen Stadtteilen, die bei einer Reihe von öffentlichen Veranstaltungen zusammenkamen, um einen Handlungsplan zu entwickeln.(1)

Wie sehen die konkreten Handlungsanweisungen aus?

Im Rahmen des Fußgängerplans sollen folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

1. Gestaltungsmittel für sicherere Straßen (Werkzeuge)
Vorgesehen sind z.B. markierte Überwege, Mittelinseln, Gehwegnasen und begrünte Verkehrsinsel an Kreuzungspunkten von Wohnstraßen für den Fußverkehr. Darüber hinaus an Ampeln akustische oder taktilen Einrichtungen für Sehbehinderte, Countdown Ampeln, eine Vorlaufzeit für Fußgänger sowie die Schaltung spezieller Fußgängerphasen vor den übrigen Phasen. Für den Kraftfahrzeugverkehr sind die Anzeige von Fahrgeschwindigkeiten, Kreisverkehre, Fahrstreifenverschwenkungen mit Verengungen und eine vertikale Verkehrsberuhigung, z.B. durch Schwellen, Aufpflasterungen etc. vorgesehen.(2)

2. Verbesserung der Verkehrssicherheit
Es geht darum, sicherere Straßen zu entwerfen und zu bauen, sichere Fahr-, Radfahr- und Gehverhalten zu fördern und durchzusetzen sowie die Straßen vor Kriminalität zu schützen. Die Methoden:

  • Entwicklung eines „Null in Zehn“[Jahren]-Programms zur Reduzierung der Fußgängerunfälle.
  • Einrichtung von Sicherheitszonen im Umfeld von Parks und Schulen als Aufenthaltsorte der Kinder.
  • Verbesserung der Fußgängersicherheit an signalisierten Knotenpunkten (z.B. durch Änderung der Signalzeitpläne für Autos und Fußgänger).
  • Durchführung eines die ganze Stadt umfassenden Fußgänger-Überweg-Markierungs-Programms, um eine stadtweite, einheitliche Markierung der Fußgängerüberwege zu erreichen.
  • Umverteilung der Verkehrsflächen für den Kraftfahrzeug-, Fußgänger- und Radverkehr zur Erzielung eines Gleichgewichts der drei Verkehrsarten.
  • Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Senioren, z.B. Querungsanlagen zur Verkürzung der Querungswege oder durch Einräumung von mehr Zeit.
  • Landesweite Motivierung der Taxifahrer, die sichersten Fahrerinnen und Fahrer zu sein.
  • Verkehrsberuhigung in Wohnstraßen: Umgestaltung mit dem Ziel die Geschwindigkeit auf 20km/h zu beschränken.
  • Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit in Hinsicht auf Unfallschwerpunkte um gefährliches Verhalten (Ablenkung beim Gehen, zu hohe Geschwindigkeiten) zu reduzieren
  • Verbesserung der Sammlung und der Weiterleitung von Unfalldaten z.B. an die Öffentlichkeit, Planer u.a.m.
  • Verstärkte Einbeziehung des Aspektes „Fußgängersicherheit“ im Hinblick auf Sanktionierungsmaßnahmen bei Verletzung der Verkehrsregeln.
  • Verstärkter Einsatz von Rotlichtkameras an Knotenpunkten, an denen zu viele Unfälle zwischen Kraftfahrzeugen und Fußgängern aufgrund des Rotlichtverstoßes von Kraftfahrern geschehen.
  • Zusammenarbeit mit den Justizbehörden zur Verbesserung der Verkehrssicherheit für Fußgänger: Einrichtung eines „Pedestrian Judical Committee“.
  • Informationen von Rettungsdiensten über Verkehrsberuhigungsmaßnahmen.
  • Erweiterung der Verkehrserziehung für Autofahrer im Hinblick auf eine Sensibilisierung für Fußgängerbelange durch Erstellung und Verbreitung/Verteilung eines Mobilitäts-Erziehungs-Programms.
  • Verbesserung der Fassadenfronten leerstehender Gebäude mit Hilfe von „street art“ zur Schaffung eines fußgängerfreundlichen Umfeldes und Reduzierung der Straßenkriminalität.
  • Unterstützung des „Sicherer-Schulweg-Programms“ der Stadt Chicago durch Erstellung von Broschüren für die Schulbegleiter und ihre Einbeziehung in die Verkehrssicherheitsarbeit für Fußgänger.
  • Verbesserung der Informationen für Verkehrsopfer durch Erstellung einer Broschüre.
  • Zusammenarbeit mit dem „Alternatives Überwachungsstrategie-Programm Chicago“.
  • Analyse der Beziehung zwischen Fußgängersicherheit und Verbrechen.(3)

3. Fußwegnetzprogramm
Planung, Bau und Unterhaltung eines zusammenhängenden Fußwegnetzes. Die Methoden:

    • Gewährleistung der Fußgängererreichbarkeit während der Bauarbeiten,
    • bessere Schneeräumung im Winter,
    • Schaffung einer eindeutigen Route für den Fußgängerverkehr auf Gehwegen,
    • Gewährung von Mindestbreiten für Fußgänger auf Gehwegen in Geschäftsstraßen,
    • Verbesserung der Fußgänger-Infrastruktur an Haltestellen,
    • Verbesserung der Gehwegnetze auch im Hinblick auf Menschen mit Behinderungen,
    • Verbesserungen an Eisenbahnschranken zur Erleichterung des Querens,
    • Berücksichtigung von Fußgängerbelangen bei der Planung neuer Schulen in Wohngebieten,
    • Verbesserung der Querungsmöglichkeiten für Fußgänger an Knotenpunkten mit ungewöhnlicher Geometrie,
    • Verbesserung von Unterführungen,
    • Verbesserung der Querungsmöglichkeiten an Zu- und Abgängen von Schnellstraßen,
    • Entwicklung von Standards für Fußgängeranlagen auf Parkplätzen,
    • Verbesserung der Methoden zur Datenerhebung und -verteilung zum Fußgängerverkehr,
    • Identifizierung und Beseitigung aller Hindernisse und Lücken im bestehenden Fußwegenetz,
    • Verbesserung der Wegekennzeichnung,
    • Identifizierung von Straßen, die sich als mögliche Fußgängerzone eignen und
    • verbesserte Prognosen zur Entwicklung des Fußgängerverkehrs.(4)

4. Programm zur Verbesserung der Aufenthalts- und Lebensqualität für Fußgänger auf öffentlichen Straßen und Plätzen
Ziel ist der Entwurf, Bau und Unterhaltung von lebenswerten Straßen. Die Methoden:

      • Entwicklung des Programms „Macht Platz für Leute“,
      • Aktualisierung der Richtlinien für die Stadtentwicklung unter Einbeziehung von Kriterien der Lebensqualität und Gesundheit,
      • Förderung eines Programms zur Entwicklung neuer Orte/Plätze für Fußgänger in Zusammenarbeit zwischen Bürgern und Planern,
      • Programm für Fußgängerplätze,
      • Integration von Kunst in Fußgängerorten/-plätzen und
      • Pflegen und Instandhalten öffentlicher Gehwege und Plätze.(5)

5. Programm zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen durch Förderung des Fußgängerverkehrs
Schwerpunkte sollen die Entwicklung und Unterstützung von Fußgängerprogrammen und -veranstaltungen sein sowie eines Programms zur Förderung der „Fußverkehrspolitik“. Die Methoden:

      • Förderung von Spielstraßen,
      • mehr „Offene-Straßen-Veranstaltungen“,
      • Förderung des „autofreien Tages“,
      • Unterstützung des Programms „Zu Fuß und mit dem Rad zur Schule“,
      • Durchführung einer Aktionswoche „Geh-zu-Fuß-zur-Arbeit“,
      • Ins-Leben-rufen einer Veranstaltung zum Thema „Fußgänger-Wettbewerb“ (z.B. Zählen der täglich unternommenen Schritte),
      • Einbeziehung der Abschätzung der Auswirkungen von Projekten auf die Gesundheit,
      • Entwicklung eines Gesundheits- und Entwurfs-/Planungs-Leitfadens,
      • Arbeitgeberzuschüsse für Gesundheitsprogramme und
      • Unterstützung für das Altern vor Ort.(6)

Ist eine Bürgerbeteiligung vorgesehen?

Die Chicagoer Bürger wurden in das Programm einbezogen und äußerten ihre Meinung in vielfacher Weise – es fanden statt / wurden organisiert:

      • 7 öffentliche Viertelveranstaltungen,
      • die Möglichkeit zur Meinungsäußerung auf der Webseite,
      • ein interaktives online-Treffen,
      • die Möglichkeit, per Brief Kommentare zu senden und
      • ein Abschluss-Workshop zum Fußgängerverkehr.

Wie werden die Vorhaben finanziert?

Es gibt in Chicago bisher noch keinen eigenen städtischen Etat für Fußgängeranlagen. Die Maßnahmen werden im Rahmen anderer Straßenbauarbeiten finanziert. Dagegen hat der Stadtrat einen eigenen Etat „Aldermanic menu money“. Eine Überlegung ist es, Teile der Finanzierung aus diesem Etat zu realisieren. In Diskussion und Vorbereitung sind mehrere Finanzierungschienen:

      1. Festsetzung eines Finanzierungs-/Förderungsziels für fußgängerbezogene Maßnahmen. Ferner sollte ein „Werkzeug“ zur Aquirierung von Fördermitteln für den Fußverkehr geschaffen werden.
      2. Schaffung einer verlässlichen und nachhaltigen Fördermittel-/Finanzierungsquelle zur Instandhaltung von Fußverkehrsanlagen.
      3. Identifikation und Finanzierung von Projekten der Fußverkehrsinfrastruktur auf jährlicher Basis. Verbesserungsmaßnahmen für die Fußgängersicherheit sollten aus dem Etat des Stadtrats („Aldermanic menu money“) vorgenommen werden.
      4. Ein Teil des Fonds für das „Oberflächenverkehrsprogramm“ soll für Fußgängerverkehrs-Infrastrukturprojekte verwendet werden.
      5. Einnahmen aus der Verkehrsüberwachung mit Radargeräten sollen für die Finanzierung von Fußgängerverkehrsprojekten verwendet werden.
      6. Patenschaft mit Stiftungen und dem Privatsektor zur Finanzierung von zukünftigen „Bewusstseins- und Erziehungsprogrammen“.

Was ist bisher umgesetzt / erreicht worden?

Die Umsetzung dieser Ideen und Strategien ist eine gewaltige Herausforderung. Dazu werden zusätzliche Finanzierungsanstrengungen sowie Zusammenarbeit (mit Institutionen etc.) erforderlich sein, die es heute noch nicht in dem erforderlichen Maße gibt. In einem Kapitel des Fußgängerplans werden Details zur Identifizierung von „high priority areas“ sowie Empfehlungen zur Finanzierung gegeben. Die Evaluation des gesamten Vorhabens erfolgt über eine sogenannte „Berichtskarte“ („report card“), die folgende Gliederung ausweist:

      • Kommentare
      • Fußwegenetz (Verbindungen)
      • Lebensqualität
      • Gesundheit
      1. Eliminierung der tödlichen Fußgängerunfälle in 10 Jahren,
      2. Reduzierung schwerer Fußgängerunfälle um 50 Prozent alle 5 Jahre,
      3. Identifizierung und Eliminierung von Hindernissen und Lücken im Fußwegenetz,
      4. Verfolgung einer Verkehrspolitik mit Prioritätssetzung Fußgängerzugang,
      5. Quantitative und qualitative Steigerung der Flächen für den Fußverkehr,
      6. Steigerung der Aktivitäten in Fußgängerbereichen,
      7. Steigerung der Anzahl der Fußwege für Freizeitaktivitäten, den Weg zur Schule und zur Arbeit sowie für die täglichen Besorgungen sowie
      8. Steigerung des Modal-Split-Anteils des Fußverkehrs.(7)

Quellen und Anmerkungen:

  1. City of Chicago: „City Service“
  2. Erläuterungen zu den genannten Gestaltungsmittteln siehe: Department of Transport: Chicago Pedestrian Plan (2012), Seiten 16-35.
  3. Chicago Pedestrian Plan, Seiten 36-64.
  4. Chicago Pedestrian Plan, Seiten 64-85.
  5. Chicago Pedestrian Plan, Seiten 86-95.
  6. Chicago Pedestrian Plan, Seiten 96-107.
  7. Chicago Pedestrian Plan, Seite 102.

Die Beschreibung der Aktivitäten zur strategischen Förderung des Fußverkehrs in der Stadt Chicago und damit verbunden die Übersetzung des Dokumentes erfolgten in den Jahren 2016 und 2017.