Wir freuen uns, dass Chemnitz zur Modellstadt des Projektes „Handlungsleitfaden für Fußverkehrsstrategien (FVS)“ ausgewählt wurde und bieten hiermit Informationen zur Stadt:
Das Projekt knüpft an den Verkehrsentwicklungsplan 2015 mit seinem Teilbereich „Fußgängerverkehrskonzept“ an (1) und soll daran mitwirken, die Aspekte des Zu-Fuß-Gehens in der geplanten Fortschreibung des Verkehrsentwicklungsplanes und im darauf aufbauenden Handlungskonzept zu konkretisieren.
Die Stadt Chemnitz liegt im südwestlichen Teil von Sachsen und hat derzeit etwa 241.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Wegen der Größe der Stadt sollen sich die fußverkehrsrelevanten Betrachtungen auf die Innenstadt sowie die Stadtteile Kaßberg und Brühl konzentrieren.
„Die engen Gassen der ringförmigen inneren Stadt weichen schnell modernen Straßen.“ wusste schon Meyers Konversations-Lexikon Ende des 19. Jahrhunderts über Chemnitz zu berichten. Um 1900 schuf man für den „wachsenden Verkehr […] Durchbrüche zur Innenstadt.[…] Der Johannisplatz entwickelte sich zu einem der verkehrsreichsten Plätze Deutschlands.“ berichtet noch immer mit etwas Stolz die aktuelle Geschichtsschreibung. (2) „Die Bombardierung am 5. März 1945 im Rahmen der alliierten Operation `Thunderclab` (´Donnerschlag`) hinterließ vor allem die Chemnitzer Innenstadt als eine Trümmerwüste.“(3) 1959 wurde der Beschluss gefasst, Chemnitz nicht historisch wieder aufzubauen, sondern eine „sozialistische Großstadt […] mit einer prägenden Hinwendung zur Moderne“ zu erschaffen. Es wäre sicher verkehrt, diese Entscheidung heute nur als eine „Altlast“ abzutun, denn es ging um die Schaffung neuer „Parks und Grünflächen“ und um ein „helles und großzügiges Stadtzentrum“. Hier in Chemnitz manifestierte sich durchaus eine großartige Wiederaufbau-Leistung, allerdings verbunden mit einer Vernachlässigung historischer Wohnviertel wie z.B. den Kaßberg (4) und mit den damals vorherrschenden Vorstellungen einer autogerechten Stadt. Zu bedenken ist dabei, dass die „Region Chemnitz […] die Nr. 1 in der Automobilindustrie Mitteldeutschlands“ ist.(5)
Für die touristischen Aktivitäten ist das Motto „Stadt der Moderne“ möglicherweise nicht günstig, da es sich eher um eine DDR-Moderne handelt. Die „modernen“ architektonischen Bauwerke werden heute von zahlreichen Städten auf der Welt doch sehr in den Schatten gestellt. Herausragender ist die noch immer vorhandene erstaunliche Vielfalt der Baukultur aus der Gründerzeit, darunter zahlreiche wertvolle Jugendstilfassaden.
Der Stadtteil Kaßberg gilt „als eines der größten in sich geschlossenen Gründerzeit- und Jugendstilviertel Europas.“ Er entstand als „Stadtteil mit einer `gehobenen` Wohnbebauung für das Bürgertum. Dieses westliche Areal empfahl sich […] wegen seiner angenehmen Lage abseits der Abgase der Chemnitzer Industrie.“ Heute dürften zumindest in einigen Straßenzügen die Abgase des Autoverkehrs die Bürger eingeholt haben. Der Stadtteil erhielt erst 1870 mit der Kaßbergauffahrt eine Verkehrsanbindung an die Innenstadt. Heute ist er von stark befahrenen Straßenzügen durchzogen und mit Ausnahme der Westseite durch breite Verkehrsschneisen eingegrenzt. In der Zwischenzeit wurden die Gebäude auf dem Kaßberg sehr aufwändig saniert und z.B. auch der Stadtteil Brühl befindet sich derzeit in der Sanierungsphase.
Schon der 1863 gegründete Verschönerungsverein wollte die damalige Industriestadt mit einem „grünen Ring“ umgeben. Bis heute konnten die ersten Maßnahmen wie z.B. die Schlossteichanlagen und der Schillerplatz nicht miteinander verbunden werden (6). Es fehlt der Stadt noch immer an einem halbwegs geschlossenen grünen Weg für die Freizeitbewegung zu Fuß, aber auch, um sich auf einem Abschnitt des Alltagsweges außerhalb der sehr kleinflächigen Innenstadt etwas abseits vom Straßenlärm fortbewegen zu können.
Der 1925 von der Kreishauptmannschaft Chemnitz vorgelegte Siedlungs- und Wirtschaftsplan griff die seit Jahrzehnten diskutierte Idee auf, „Chemnitz mit einer Gürtelstraße zu umgeben, […] die das Stadtinnere vom Verkehr entlaste würde.“(7) Diese Maßnahme wurde umgesetzt, nicht aber der ebenfalls im Plan enthaltene Grüngürtel. Heute kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass Chemnitz den Straßengürtel für eine Großstadt damals zu eng um die kleine historische Innenstadt geschnallt hatte. Das derzeitige Stadtzentrum hat gerade einmal eine Ausdehnung von etwa 500 mal 700 Metern. Es ist bis auf recht wenige Gebäude (z.B. Roter Turm, Altes und Neues Rathaus, Jacobikirche) ein „erweitertes Kaufhaus“ mit Straßenbahn- und Busanschlüssen, ringsum breiten Verkehrsschneisen und eingemauert durch zahlreiche große Parkhäuser. Insofern ist der Fußwegeanteil seit 1991 von 38 % auf 28 % im Jahr 2015 gesunken.(1) Die Stadt möchte dieser Entwicklung entgegensteuern. Immerhin ist es mit einem gut ausgebauten Netz öffentlicher Verkehrsmittel gelungen, deren Wegeanteil zu stabilisieren und sogar ansteigen zu lassen (2015: 17 %) und den enorm hohen Anteil der Wege mit eigenen Kraftfahrzeugen von bis zu 56 % auf immer noch einen hohen Anteil von 47 % zu reduzieren.(1)
Der Stadtrat von Chemnitz hat schon im Jahr 2002 für eines der ersten Städte in Deutschland ein „integriertes Stadtentwicklungsprogramm“ beschlossen. 2007 wurde dann ein „Verkehrsentwicklungsplan 2015“ mit Leitlinien für den Fußverkehr erstellt. Abgeleitet davon wurde ein Handlungskonzept mit konkreten Maßnahmen. Chemnitz verfügt darüber hinaus über ein Radverkehrskonzept (2013) und einen Nahverkehrsplan (2015).
Die Leitlinien für den Fußverkehr konzentrieren sich im Wesentlichen darauf
„Die Handlungsstrategie besteht für die Anlagen des Fußverkehrs darin:
- hohe Verkehrssicherheit zu gewährleisten
- umwegfreie Verbindungen zu schaffen
- leichtes Vorankommen mit hinreichender Bewegungsfreiheit zu ermöglichen
- Störungen durch andere Verkehrsteilnehmer zu minimieren
- gute Übersichtlichkeit, Begreifbarkeit und Orientierung zu ermöglichen
- durch entsprechende Gestaltung das Gehen angenehm zu machen
- subjektive Ängste gegen Bedrohung zu mindern
- weitgehende Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum.“(8)
Auch im Städtebaulichen Konzept der Stadt wurden z.B. als Planungsgrundsätze die
- „Sicherung der Mobilität für alle Verkehrsteilnehmer“ sowie die
- „Stärkung der stadt- und umweltverträglichen Organisation des Verkehrs“ festgeschrieben.(9)
Da in der Stadt punktuell schon viel getan wurde und sich weitere konkrete Planungen in Arbeit befinden, soll es um die Fragestellung gehen, wie der Fußverkehr übergeordnet verankert werden kann und welche Schwerpunkte zu setzen sind. Deshalb haben sich die Verwaltungsmitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der ersten Gesprächsrunde (PDF) im Technischen Rathaus am 26. Januar 2017 darauf verständigt,
Dazu wurden vier Begehungen durchgeführt, die als Fußverkehrscheck für den Korridor: Hauptbahnhof – Stadtteil Brühl – Zentrum – Stadtteil Kaßberg als eine recht ausführliche Mängelanalyse mit verschiedenen Hinweisen zu Lösungsansätzen zusammengestellt wurde (siehe oben). Die kurz gefassten Ergebnisse und Empfehlungen finden Sie unter Fazit (PDF).
Darüber hinaus wünschte sich die Stadtverwaltung, die Fragestellungen zu untersuchen,
Hierzu war der gesprächsfördernde Workshop: Chemnitz – Wo stehen wir und wo wollen wir hin? (PDF) ein innovativer Baustein des Projektes. In einem 2. Workshop (PDF) hat die Stadtverwaltung gemeinsam mit den Vertretern des FUSS e.V. über die zukünftigen Schritte beraten und teilweise konkrete Schritte festgelegt. Anfang November 2017 fand ein zusätzliches Fachgespräch über die Möglichkeiten der Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit zum Fußverkehr statt und in der ersten Hälfte des Jahres 2018 soll eine öffentliche Veranstaltung durchgeführt werden.