Im Rahmen des Projektes „Handlungsleitfaden für Fußverkehrsstrategien (FVS)“ wurden und werden persönliche* Interviews und Gespräche mit maßgeblichen Vertreterinnen und Vertretern von Fachverbänden in Deutschland durchgeführt. Ziel ist es, von Fachleuten zu erfahren, wie ihre Einstellungen zum Fußverkehr und zu seiner strategischen Förderung sind. Die ausgewählten Personen sind in Verbänden aktiv, welche sich mit Themenstellungen auseinandersetzen, die zumindest die Fußverkehrsthematik tangieren. Ausgewählt wurden dafür Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner aus:

* Die Gesprächs-Zusammenfassungen geben allein die Auffassung der Gesprächspartnerin bzw. des Gesprächspartners wieder und sind mit den Gremien der Verbände nicht abgestimmt. Es waren ausdrücklich spontane Antworten gewünscht. Die Interviews wurden von Dr. Viktoria Wesslowski und Dipl.-Ing. Bernd Herzog-Schlagk geführt und zusammengefasst.

Vertreterinnen und Vertreter aus Verkehrsverbänden:

Dipl. Geograph Ronald Winkler
Fachreferent für Stadtverkehr in der Zentrale des ADAC e.V. in München

Das Zu-Fuß-Gehen genießt bei vielen Verkehrsteilnehmern keinen guten Ruf. Völlig zu Unrecht, schließlich ist es gesund, kommunikativ und kann von Jung und Alt ausgeübt werden. Auf kurzen Distanzen ist es zudem oft schneller als die Fortbewegung mit dem Fahrrad oder Auto. Allerdings ist das Zu-Fuß-Gehen nicht für alle Menschen und Wegezwecke gleichermaßen geeignet. Hinzu kommt eine gewisse Witterungsempfindlichkeit, die aber auch beim Kfz- und Radverkehr relevant sein kann. Auch bei den Städten scheinen sich die Vorteile eines starken Fußverkehrsanteils noch nicht herumgesprochen zu haben: Fußverkehr benötigt deutlich weniger Fläche als der Fahrverkehr und kann bereits mit geringem Mitteleinsatz einen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele leisten.

Herr Winkler ist der Auffassung, dass die Förderung des Fußverkehrs nicht allein auf die Entschärfung von Unfallschwerpunkten beschränkt bleiben darf, sondern dass diese als Paket gedacht werden muss: Hilfreich ist politische Rückendeckung und das Setzen eines zukunftsorientierten Zielwertes am Modal Split. Eine Fußverkehrsstrategie darf nicht zum Papier für die Schublade verkommen, sondern muss in der Kommune aktiv gelebt werden. Dazu zählen neben der Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen auch Kampagnen, die die Vorteile des Zu-Fuß-Gehens kommunizieren. Zielgruppen solcher Kampagnen sollten vor allem „Kurzstrecken-Autofahrer“ und Elternteile sein, die ihre Kinder regelmäßig mit dem Auto zur Schule fahren.

Die Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen für den Fußverkehr sollten stets in ein Fußverkehrskonzept eingebunden sein. In dessen Mittelpunkt sollte die Netzplanung stehen, um Strecken zur Erreichung angestrebter Qualitäten zu kategorisieren, Netzlücken zu identifizieren und Maßnahmen zu priorisieren. Dabei gilt es, stets die hohe Umwegeempfindlichkeit der Zu-Fuß-Gehenden im Auge zu haben. Hauptachsen des Fußverkehrs müssen direkt, attraktiv und sicher sein. Weil dabei auch die soziale Sicherheit eine wesentliche Rolle spielt, sollten Fußverkehrsflächen ordentlich beleuchtet sein. Schulwegpläne ersetzen zwar kein Fußverkehrskonzept, lassen sich dafür aber relativ schnell realisieren. Durch die Einbeziehung von Kindern, Eltern und Vertretern der Schulen, Fachbehörden und Polizei bei der Planerstellung wird Fußverkehr schnell zur Gemeinschaftsaufgabe, die die Umsetzung von Maßnahmen erleichtern kann. Überhaupt stellen Beteiligungsverfahren einen guten Weg dar, um auf Quartiersebene für das Zu-Fuß-Gehen zu werben. Dazu zählen auch Quartiersspaziergänge bzw. Fußverkehrschecks, die von Planern, Verwaltungsangestellten, Politikern und Bürgern gemeinsam durchgeführt werden, um Vor-Ort Probleme zu identifizieren, Lösungsalternativen zu diskutieren und Maßnahmen für die Umsetzung zu priorisieren. Förderlich für die strategische Weiterentwicklung des Fußverkehrs ist auch seine personelle Verankerung in der Verwaltung, etwa durch Etablierung eines Fuß- oder Nahmobilitätsbeauftragten.

Der Fußverkehr ist nach Auffassung von Herrn Winkler durch die politisch gewollte starke Förderung der Automobilwirtschaft in den 60/70er Jahren des letzten Jahrhunderts ins Hintertreffen geraten. Planerische und finanzielle Kapazitäten flossen fast ausschließlich in die Entwicklung einer autogerechten Stadt, die geprägt war durch die strikte räumliche Trennung von Wohnen und Arbeiten. Noch relativ jung ist dagegen die Erkenntnis, dass die Mischung der Funktionen stadtverträglicher ist, nicht zuletzt auch deshalb, weil die kurzen Distanzen auch wieder vermehrt Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zulassen. Ebenfalls im Trend liegt die Nachverdichtung, die insbesondere in den Großstädten mit starkem Zuzug von außen zu einer effektiveren Nutzung der Flächen führen soll. Mancherorts hat die Verdichtung jedoch bereits ungesundes Maß erreicht. Weil attraktiver und vor allem bezahlbarer Wohnraum dort kaum noch zur Verfügung steht, sind insbesondere Familien dazu gezwungen, ins Umland abzuwandern. Dort wiederum kann Mobilität aufgrund der großen Entfernungen und geringen ÖPNV-Angebotsdichte fast nur noch mit dem Auto bewältigt werden. Es muss daher viel mehr darüber nachgedacht werden, wie dieser Teufelskreis durchbrochen werden kann.

Dennoch sieht Herr Winkler Chancen für einen nachhaltigeren Nahverkehr in den Städten. Für viele Menschen in den Kernstädten hat das Auto seine Bedeutung als Statussymbol verloren, die Verkehrsmittelwahl ist deutlich pragmatischer geworden. Gewinner waren in den letzten Jahren der ÖPNV und Radverkehr, nicht zuletzt aufgrund der starken finanziellen und politischen Unterstützung auf allen Ebenen. Es bleibt zu hoffen, dass der Fußverkehr seine Rolle im Umweltverbund deutlich stärken kann. Von der Bundesregierung und den Ländern wünscht er sich als Impulsgeber eine entsprechende Strategie, um den Fußverkehr stärker ins Bewusstsein zu bringen. Auf kommunaler Ebene erscheinen ihm dagegen örtlich angepasste Nahverkehrskonzepte sinnvoller.

Interview am 21. Februar 2017

 

Willi Loose und Gunnar Nehrke
Bundesgeschäftsführer und Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Bundesverband Carsharing e.V. bcs mit Sitz in Berlin

Wichtigste Vorteile des Fußverkehrs sind die Lebendigkeit der Stadtteile und Stadtteilzentren und auch die Wertschöpfung vor Ort über den fußläufig erreichbaren Einzelhandel. Ohne die Fußgängerinnen und Fußgänger wären unsere Städte öde und tot. Hinzu kommt die weitgehende Schadstoff- und Lärmfreiheit. Zu wenig beachtet wird nach Ansicht von Herrn Loose und Herrn Nehrke, dass der Fußverkehr den Zugang zu den anderen Verkehrsmitteln bietet, also auch zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und zu den dezentral im Stadtteil verteilten Carsharing-Stationen bzw. den Fahrzeugen der free-floating Anbieter. Um die Aufenthaltsqualität in Stadträumen zu erhöhen, sollten Kriterien insbesondere für die Nutzungen des Erdgeschosses von Häusern festgelegt werden. Eine Straße wird durch Kleingewerbe und andere Angebote wie Cafés attraktiver. Darüber hinaus müssen die Aufenthalts- und Wegeflächen selbst mehr unter dem Gesichtspunkt hoher Aufenthaltsqualität geplant werden. So benötigen etwa ältere Menschen Ausruhangebote und junge Leute offene Flächen und Rückzugsräume.

In einer Fußverkehrsstrategie muss die Wegenetzplanung für die unterschiedlichen Wegezwecke wie Erholung, Arbeit, Schule oder auch Tag- und Nachtnetze in Priorität stehen. Diese Netze müssen für alle Bevölkerungskreise sicher nutzbar bzw. barrierefrei sein und die Vermeidung von Konflikten mit dem Auto-, aber auch mit dem Radverkehr zum Ziel haben. Zumindest Teile davon sollten abseits von Lärmquellen geführt werden. Menschen, die zu Fuß unterwegs sind, benötigen ein sehr engmaschiges Leitsystem und dieses darf nicht ausschließlich auf die Gäste der Stadt ausgerichtet sein. Wer den Fußverkehr fördern möchte, muss ihm im Netz und auch an den Knotenpunkten mehr Flächen zubilligen. Da die Stadtflächen in der Regel eng begrenzt sind, sind sie dem Autoverkehr und hier insbesondere dem sogenannten ruhenden Verkehr zu entziehen. Das ist möglich, indem es durch Gemeinschaftsnutzungen weniger Autos in Privateigentum in der Stadt gibt.

Die Herren Nehrke und Loose sehen einige Hemmnisse gegen eine strategische Förderung des Fußverkehrs. An der Tatsache, dass es keine ökonomisch einflussreiche Lobby gibt, ist nur schwerlich etwas zu verändern. Es muss aber in der öffentlichen Meinung darauf hingewirkt werden, dass weniger die Großprojekte unsere Lebensqualität erhalten und stärken, sondern gerade die vielen kleinen Infrastrukturmaßnahmen. Und die Maßnahmen müssen einer stärkeren Kontrolle unterzogen werden. Es reicht nicht aus, dass Verkehrsplaner die technischen Richtlinien der ÖPNV-Ausbauplanung und der Radverkehrsinfrastruktur beherrschen und anwenden und die Fußgänger aus dem Blick geraten. Deshalb sollte auf kommunaler Ebene zukünftig für den Fuß- und Radverkehr gemeinsam geplant werden. Darüber hinaus ist es wichtig, die Ausbildung von Planerinnen und Planern noch stärker auf die Belange des städtischen Nahverkehrs auszurichten und hier auch Herausforderungen im Detail darzustellen.

Interview am 13. Januar 2017

 

Matthias Knobloch M.A.
Abteilungsleiter Verkehrspolitik im Hauptstadtbüro des ACE Auto Club Europa e.V., Vorsitzender der Deutschen Plattform für Mobilitätsmanagement DEPOMM und Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des Vereins Junge Menschen und Mobilität e.V. JUMO mit Sitz jeweils in Berlin

Wer Stadt erleben möchte sollte seiner Meinung nach zu Fuß unterwegs sein. Für lebenswerte und lebendige Innenstädte mit einem guten Geschäftemix ist der Fußverkehr das Beste. In einer kommunalen Fußverkehrsstrategie muss das gefahrlose Gehen (objektive und subjektive Sicherheit) verankert sein sowie die Themen: Trennung des Fuß- und Radverkehrs, Schaffung von Fußgängerbereichen, in denen man allenfalls den Radverkehr durchschleusen kann, die Ausschilderung des Wegenetzes und die Freihaltung der Fußwege von parkenden Fahrzeugen.

Bisher hat man in Deutschland zu einseitig auf das Auto gesetzt und dem sogenannten Langsamverkehr die Restflächen zugewiesen. Die Flüssigkeit des Fahrzeugverkehrs stand und steht noch heute häufig über der Flüssigkeit des Fußverkehrs. Die Bündelung des Fußverkehrs über die Fahrbahnen ist wegen der Umwegempfindlichkeit der Fußgängerinnen und Fußgänger nicht sinnvoll. Fuß- und Radverkehr können noch halbwegs verträglich auf den vorhandenen Flächen untergebracht werden. Wenn eine wirklich merkbare Verbesserung für den Fußverkehr erreicht werden soll, muss allerdings der Autoverkehr in unseren Innenstädten weitgehend reduziert werden. In Deutschland ist die Stadt Erfurt ein herausragendes Beispiel dafür, wie sich unsere Städte zukünftig weiterentwickeln sollten.

Herr Knobloch würde auf kommunaler Ebene und auch auf Landesebene eine Fußverkehrsstrategie in Priorität setzen, auf Bundesebene aber das Schweizer Drei-Säulen-Modell (MIV / ÖV / Rad+Fuß) bevorzugen, da die Schnittmenge von Fuß- und Radverkehr trotz aller Probleme noch immer größer ist als zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Einen Nationalen Masterplan Fußverkehr hält er nicht für sinnvoll, er erwartet aber vom Bund Weichen- und Hilfestellungen für die Kommunen, um Fußverkehrsstrategien umsetzen zu können. Den Fuß- und den Radverkehr sollte man seiner Meinung nach auf der gesamten kommunalen Ebene durchaus erst einmal getrennt betrachten, punktuelle Problemlösungen aber gemeinsam suchen und finden und die Gremienarbeit vernetzen.

Interview am 26. September 2016

 

Burkhard Stork und Angela Kohls
Bundesgeschäftsführer und Abteilungsleiterin Verkehr / Interessenvertretung beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e.V. ADFC mit Sitz in Berlin

Alle Stadtbewohner sind zuerst Fußgängerinnen und Fußgänger und damit die Seele der Städte. Das Zufußgehen gehört zu natürlichsten und stadtverträglichsten Verkehrsarten Ebenso wie das Radfahren fördert es die Bewegung und die Gesundheit und macht die Lebendigkeit der Städte aus. Besonders ist es für Kinder den öffentlichen Raums beim Zufußgehen zu erleben, um ihr kongnitiven Fähigkeiten auszuprägen.

Frau Kohls und Herr Stork würden auf kommunaler Ebene die Erarbeitung einer Fußverkehrsstrategie für sinnvoll halten, die allerdings von Anfang an in eine Gesamtstrategie zur Förderung der aktiven Mobilität eingebettet sein muss. Dabei sind besonders der demografische Wandel, die Barrierefreiheit, die Gesundheit der Stadtbewohner und die Aufenthaltsqualität für die Nutzung öffentlicher Räume zu beachten. Auf Landes- und Bundesebene wird dagegen ein „Verkehrswende-Papier“ oder eine Strategie für die städtische Mobilität zur systematischen Förderung der nachhaltigen Verkehrsmittel bevorzugt, analog zum „Aktionsplan urbane Mobilität“ der EU. Hierzu sind seitens der Bundesregierung eindeutige Weichen für die zukünftige Nutzung der Entflechtungsmittel zu stellen.

In einer kommunalen Fußverkehrsstrategie muss die Netzplanung eine herausragende Rolle spielen und es sollte wie beim Radverkehr gegliedert sein in zentrale und untergeordnete Wegeverbindungen. Dabei sollten attraktive Wege- und Aufenthaltsflächen integriert sein, wie z.B. in Berlin das Netz der 20 grünen Hauptwege. Fußwege müssen in den Städten so dimensioniert sein, dass sie auf eine Zunahme des Verkehrs und auch des Aufenthalts von Menschen ausgerichtet sind. Als ein wunder Punkt im Wegenetz werden Baustellen angesehen, die sehr häufig nicht sachgerecht gestaltet sind.

Nach Ansicht von Frau Kohls und Herrn Stork hatte der Radverkehr das große Glück, dass er gleichzeitig ein attraktives Freizeitthema ist und dieses Thema auch organisatorisch und verkehrspolitisch genutzt werden konnte. Jung und alt machen Radtouren in der Landschaft und erleben danach die Unzulänglichkeiten der Infrastruktur bei der Radnutzung in der Stadt. Daraus erwuchs eine starke Lobby. Der Fußverkehr wird dagegen vom Volumen her noch immer nicht wahrgenommen, er sollte deshalb regelmäßig gezählt werden. Fußgängerinnen und Fußgänger werden in Deutschland als ein kommunales Thema abgetan und sind im Bewusstsein noch nicht als wichtige Verkehrsart angekommen.

Interview am 27. September 2016

 

Carolin Ritter und Katja Täubert
Geschäftsführerin und Referentin für politische Kampagnen und nachhaltige Mobilität beim Bundesverband VCD Verkehrsclub Deutschland e.V.

Für Menschen bedeutet das zu-Fuß-Gehen Anfang und Ende jeglicher individuellen, selbstbestimmten Mobilität. Es ist natürlich, gesund und eine einfache Form der Bewegung. Darüber hinaus ist es emissionsfrei, kommunikationsfördernd, macht den Kopf frei und ist als Fortbewegungsart schnell und unkompliziert verfügbar. Zu Fuß gehen ist flexibel, es kostet nichts für die Fußgänger/-innen, kann niederschwellig soziale Interaktionen (v.a. für Kinder und ältere Menschen) fördern. Und es sorgt für Sicherheit und für mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität in den Straßen.

Aus Sicht der Städte ist der Fußverkehr emissionsfrei und kommunikationsfördernd und trotzdem leiser als die meisten anderen Verkehrsmittel. Fußverkehr verbraucht relativ wenig Fläche. Die Infrastruktur ist von langer Lebensdauer (im Vergleich zu Fahrbahnen) und kostet weniger. Eine gute Infrastruktur kann für mehr Sicherheit sorgen und dass weniger Verkehrsunfälle geschehen. Er fördert die Lebendigkeit der entsprechenden Stadtteile, fördert die lokale Wirtschaft, weil Fußgänger/innen eher in lokalen Läden kaufen, als in Shopping Malls und das kann hochwertigere Lebensräume ermöglichen mit mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität. Frau Ritter und Frau Täubert würden es so zusammenfassen: Fußverkehr ist ein Mittel zur Entwicklung lebenswerter Städte.

Deshalb sollte in einer kommunalen Fußverkehrsstrategie auf jeden Fall die „Rückeroberung der Straße“ enthalten sein: Um das Zu-Fuß-Gehen in den Städten wieder attraktiv zu machen, bedarf es nicht nur einer neuen Infrastruktur (Stadt der kurzen Wege), sondern vor allem einer Infrastruktur, die eine Kultur des Miteinanders und der gegenseitigen Rücksichtnahme fördert. Man kann Orte attraktiv machen, indem Begegnungszonen geschaffen werden mit attraktiven Plätzen zum Verweilen (Sitzgelegenheiten). Städte müssen als Gesamtbild konzipiert werden und die unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen. Dazu gehört auch, unterschiedliche Verkehrsmittel miteinander zu kombinieren.

Wesentliche Bestandteile einer kommunalen Fußverkehrsstrategie sollten auch die Sicherheit (objektive und subjektive) sein, u.a. mit passender Infrastruktur oder fußverkehrsfreundlichen Ampelschaltungen und die Barrierefreiheit sein. Wir denken an das Bild der „integrierten“ Stadt. Die Stadt muss für jede/n begehbar, zugänglich, sicher und angenehm sein. Sich frei und autonom jederzeit zu bewegen soll immer und für alle möglich sein. Wenn die Wege für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Kinder angepasst sind, sind sie für alle angepasst. Schön wäre noch ein „Spaß-Faktor“: In der umwelt- und sozialverträglichen Stadt sind viele Straßen lebendig, attraktiv und vielfältig. Und es werden auch die „Beziehungen“ mit anderen Verkehrsmitteln bzw. mit dem Fahrradverkehr und mit dem ÖPNV berücksichtigt und mögliche Konflikte mitgedacht und vermieden.

Bisher gab es zu wenig Aufmerksamkeit/ Selbstbewusstsein/ Engagement für das Zu-Fuß-Gehen als Alltagsmobilität. Die Infrastruktur der Mobilität und die Straßenverkehrs-Ordnung StVO sind am Leitbild der autogerechten Stadt orientiert – historisch nachvollziehbar, aber ein Hemmnis für lebenswerte Städte.

Interview 22. März 2018

 

Vertreterinnen und Vertreter aus Verbänden im Bereich der Raum- und Städteplanung sowie der Verkehrsforschung

Mechtild Stiewe, Dipl-Ing.
Mitglied im Vorstand der Deutschen Plattform für Mobilitätsmanagement (DEPOMM) e.V.

Nach Ansicht von Frau Stiewe ist es bei der Entwicklung einer Fußverkehrsstrategie wesentlich, die Perspektiven der NutzerInnen zu beachten. Ziel der Förderung des Fußverkehrs muss es sein, gute Möglichkeiten für das Zufußgehen zu schaffen, so dass niemand ausgeschlossen wird. Schließlich ist das Zufußgehen ein normaler Teil des alltäglichen Lebens, welcher oftmals zu wenig betrachtet wird. Die demographische Entwicklung rückt besonders die älteren Menschen ins Blickfeld. Aber auch Kindern und Jugendlichen sollte eine eigenständige Mobilität ermöglicht werden.

Für eine Fußverkehrsstrategie braucht es eine Betrachtung der Gesamtsituation. Dazu gehört zunächst die Stadtstruktur. Frau Stiewe sprach sich dafür aus, die NutzerInnen dabei einzubeziehen, ihre individuellen Ziele zu identifizieren, welche innerhalb der Stadtquartiere und im Stadtzentrum erreicht werden müssen. Außerdem gehört zum Gesamtbild die Verkehrsstruktur, inklusive der Infrastruktur für alle Verkehrsträger und der Verknüpfungsmöglichkeiten unterschiedlicher Verkehrsmittel. Schließlich ist auch die Aufenthaltsqualität ein Teil des Gesamtbildes.

Um allen Menschen eine Mobilität zu Fuß zu ermöglichen, braucht es sichere und attraktive Infrastruktur für Fußgänger. Dazu gehören breite Gehwege und gesicherte Querungen. Es sollte möglich sein, Straßen zu queren, ohne auf einer Mittelinsel stehenbleiben zu müssen, die für Kinderwagen oder Anhänger oft schon problematisch schmal sind. Der Abbau von Barrieren ermöglicht es mehr Menschen zu Fuß zu gehen. Reine Fußwegeverbindungen komplettieren das Fußwegenetz und brauchen entsprechende Beschilderung. Schließlich ist auch „Tempo 30“ ein wichtiges Ziel, weil sich dadurch viele Probleme (Lärm, Emissionen, Unfälle, Reifenabrieb) mindern lassen.

Die Funktion des öffentlichen Raums besteht aber nicht nur darin, Mobilität „von A nach B“ zu ermöglichen, sondern auch sich aufzuhalten und wohlzufühlen, sich (flüchtig) zu begegnen, sich zu treffen und zu unterhalten. Für die Vereinbarkeit der spezifischen Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen im öffentlichen Raum schlug Frau Stiewe vor, multifunktionale Elemente in das Stadtmobiliar zu integrieren, die von verschiedenen Menschen flexibel genutzt werden könnten.

Auf das Thema Gender angesprochen, betonte Frau Stiewe neben Geschlechteraspekten insbesondere die Fragen, in welcher Lebenssituation sich eine Person befindet, welche Aufgaben sie zu erfüllen hat und welche Ressourcen ihr dafür zur Verfügung stehen. Hier ergibt sich, dass Frauen öfters als Männern kein PKW zur Verfügung steht und sie sich deshalb öfters zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen. Oft kommen Frauen auch mehr Betreuungsaufgaben zu (Kinderbetreuung sowie die Betreuung der eigenen Eltern), so dass sich bei Frauen andere Wege ergeben als die reinen Pendlerwege zur Arbeit.

Fußverkehrsförderung hat viele Vorteile: Sie kann einen Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität in Städten leisten, und die aktive Bewegung hält gesund. Das sollte Grund genug dafür sein, das Zufußgehen zu fördern. Was die strategische Förderung des Fußverkehrs in Deutschland bisher noch hemmt, ist laut Frau Stiewe die fehlende Lobby. Allgemein besteht die Annahme, dass wir sowieso alle zu Fuß gehen und man sich darum nicht kümmern müsse. Es gibt kein Bewusstsein dafür, dass es spezifische Anforderungen für das Zufußgehen gibt, wie es für Kfz- und Radverkehr selbstverständlich ist. Zudem hat der Fußverkehr es nicht geschafft, ein positives Image über Freizeitaktivitäten zu entwickeln und in den Alltag zu transportieren, wie das dem Radverkehr gelungen ist.

Wie sollte die strategische Förderung des Fußverkehrs organisiert sein? Anstelle einer allgemeinen Vorgabe plädierte Frau Stiewe für eine genaue Analyse der Situation vor Ort: unter anderem der Aufgabenträger und der bereits bestehenden Konzepte und Programme. Zum Beispiel würde eine bereits bestehende Radverkehrsstrategie es nahelegen, sich explizit mit dem Fußverkehr zu beschäftigen, wohingegen man eine Nahmobilitätsstrategie entwickeln könnte, wenn noch keine anderen Konzepte existierten. Wichtig sei es, vor Ort Zuständige zu haben und entsprechende Ressourcen. Die Rolle des Landes wurde von Frau Stiewe eher als Moderator gesehen, der alle Akteure an einen Tisch bringen könnte. Darüber hinaus kann das Land die Rahmenbedingungen schaffen, die zu einer erfolgreichen Förderung und Umsetzung vor Ort führen.

Beim Thema Radverkehr meinte Frau Stiewe, dass es wichtig sei, dass die zwei Verkehrsarten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Eine grundsätzlich getrennte Betrachtung sei nicht sinnvoll. Gleichwohl ist es notwendig, auf die verschiedenen Bedürfnisse einzugehen, und durchaus sinnvoll, auf Veranstaltungen das eine oder andere Thema in den Fokus zu rücken, um das Bewusstsein dafür zu stärken.

Interview am 30. Januar 2017

 

Dr. Robert Schönduwe
Pegasus Netzwerk – Nachwuchsnetzwerk für Mobilitäts- und Verkehrsforschung

Einen wichtigen thematischen Schwerpunkt sieht Herr Schönduwe in den Gesundheits-Aspekten. Er findet die Walkability-Diskussion sehr überzeugend und ist der Ansicht, dass sie in der praktischen Umsetzung auch ein Überzeugungsthema gleichermaßen für Politik und Verwaltung sowie auch für die Stadtbevölkerung darstellt. Der unter Dr. Lawrence Frank, Professor für nachhaltigen Verkehr an der Universität British Columbia in Kanada, entwickelte Walkability-Index erlaubt eine quantifizierbare Einschätzung, inwieweit die nachbarschaftliche Umgebung zur körperlichen Aktivität motiviert. Dieses Verfahren sollte auch in deutschen Städten mehr Anwendung finden und Anreiz zur Verbesserung der Infrastruktur bieten.

Ein zweiter Ansatzpunkt für die Förderung des Fußverkehrs ist für ihn die Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Der Ausbau zu möglichst autogerechten Städten hat auch in unseren historisch gewachsenen Städten zu breiten Verkehrsadern und nicht begehbaren Plätzen geführt. Dieser Fehlentwicklung muss mit urbaner Vielfalt entgegengewirkt werden. Wenn wir dafür sorgen, dass der Fußverkehr eine größere Rolle in der Stadt- und Verkehrsplanung spielt, wird der motorisierte Individualverkehr MIV abnehmen, die Städte werden wieder lebenswerter und der MIV auf noch mehr kurzen Wegen unnötiger.

Mit der Zunahme des Aufenthalts steigt ganz offensichtlich auch die wirtschaftliche Kaufkraft im urbanen Raum. Deshalb hält es Herr Schönduwe für wesentlich, den Geschäftsleuten und deren Vereinigungen immer wieder deutlich zu machen, dass sehr viele oder sogar die Mehrheit ihrer Kunden zu Fuß kommen und deren Kaufkraft insgesamt nicht geringer ist als die der Autofahrerinnen und Autofahrer. An dieser Stelle wird häufig eine Scheindiskussion geführt, obwohl zahlreiche Untersuchungen dies belegen und sich die bessere Erreichbarkeit der Geschäfte zu Fuß in der Praxis auch immer wieder wirtschaftlich ausgezahlt hat.

Herr Schönduwe hält es auch für ein fatales Argument, den Fußverkehr als eine Verkehrsart darzustellen, die kaum Kosten verursacht. Es hat bisher dazu geführt, dass die Position in den Verkehrs- und Stadtplanungshaushalten fehlt und z.B. auch nur unbeträchtliche Forschungsmittel zur Verfügung gestellt werden. So werden größere Infrastrukturmaßnahmen zur Förderung des Fußverkehrs als nicht finanzierbar bezeichnet, während deutlich höhere Summen in den Neu- und Ausbau sowie den Erhalt von Straßenprojekten für den MIV fließen. Hier muss konsequent umgedacht und auch größere Projekte in die Diskussion eingebracht werden. Die deutsche Verkehrspolitik hat nicht das Problem von Geldknappheit, sondern verstärkt die anstehenden Probleme wie z.B. Klima- und Lärmschutz durch eine verfehlte Verteilung der Mittel.

Dem Pegasus-Netzwerk ist es ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass sich die Forschung viel stärker auf die Beeinflussung des Verkehrsverhaltens und auf die Verkehrsmittelwahl konzentrieren sollte und nicht auf immer neue technische Details an Fahrzeugen, die möglicherweise in ein paar Jahren ohnehin veraltet sind. Zum Verkehrsverhalten ist insgesamt zu wenig bekannt. Die Nahmobilität wird bisher bei der Erfassung von Daten zum Verkehrsverhalten systematisch ausgeblendet. Abschnitte eines Weges werden mit dem bestehenden Wegekonzept nicht erfasst. Ein Etappenkonzept, wie es bspw. in der Schweiz verwendet wird, würde stärker auf die Bedeutung der Nahmobilität hinweisen. Mit neuen Technologien der Datenerfassung könnten zusätzlich räumlich und zeitlich sehr genaue Daten erhoben werden. Die Etappen zu Fuß würden dadurch deutlich besser abgebildet werden als die bisherige Anzeige der Hauptverkehrsmittelwahl. Es ließen sich unnötige Umwege erkennen oder auch beispielsweise Ungerechtigkeiten zwischen der Beachtung der Verkehrsmittel nivellieren. Eine solche Datenbasis wäre ein wichtiger erster Schritt, um den Fußverkehr mehr ins Blickfeld zu stellen.

Interview am 20. März 2018

Vertreterinnen und Vertreter aus Verbänden im Architektur-Bereich:

Dipl. Ing. Roland Stimpel
Stadt- und Regionalplaner, Chefredakteur des Deutschen Architektenblattes der Bundesarchitektenkammer mit Redaktionsbüro in Berlin

Fußverkehr bietet beste Mobilitäts-Chancen für alle, verbunden mit einem Minimum an Belästigungen für andere Menschen oder Belastungen für die Umwelt. Er erfordert als niederschwelligste Verkehrsart den geringsten Aufwand für die Schaffung und den Erhalt von Infrastrukturen und dadurch geringe gesellschaftliche Kosten. Er bietet aber auch für die Nutzerinnen und Nutzer einen leichten Zugang, d.h. ebenfalls geringe Kosten und wenig Aufwand. Diese im Verhältnis langsame und sehr flexible Fortbewegung führt in den Städten zu einer höchstmöglichen Belebung des öffentlichen Raumes und fördert das soziale Miteinander. Urbanität ist nur mit Fußverkehr erreichbar, der städtebaulich feinkörnige und gemischte Strukturen ermöglicht. Wichtig ist Herrn Stimpel zudem die Kombinierbarkeit mit allen anderen Verkehrsarten: Das Zu-Fuß-Gehen verknüpft sie alle miteinander und ist damit das Bindeglied in der städtischen Mobilität.

Eine Stadt, in der man gerne zu Fuß unterwegs ist, hat eine kleinräumige Funktions- und Nutzungsmischung aufzuweisen. Um den Fußverkehr zu fördern, muss ihm ein hoher Stellenwert insbesondere bei der räumlichen Platzverteilung zugewiesen werden. Dabei muss die Benutzbarkeit des öffentlichen Raums für alle Vorrang vor seinen privaten Nutzungen haben (Parkplätze, Infrastruktur, Restaurants, Langzeitbaustellen usw.). Eine gute Stadtplanung ermöglicht es, dass man jede Stelle zu Fuß erreichen kann. Das erfordert ein engmaschiges, barrierefreies Fußwegenetz mit Durchwegungen größerer Blöcke. Plätze nehmen nur einen geringen Anteil des notwendigen Bewegungsraums ein. Deshalb muss ein besonderes Augenmerk auf die durchgängige Nutzung von Straßenzügen gelegt werden. Dabei sind auch temporäre Hindernisse zu beachten und zu entfernen.

Nach Ansicht von Herrn Stimpel hemmt die Dominanz des unverhältnismäßig viel Raum einnehmenden Autoverkehrs noch immer eine strategische Einbeziehung der Fußmobilität. Seitens der politischen Einordnung und der öffentlichen Diskussion benötigt der Fußverkehr eine eigene Lobby und sollte auch aus der Nutzersicht getrennt betrachtet werden. Da sind eher der Rad- und der Autoverkehr zusammen zu denken, deren Geschwindigkeitsdifferenzen im Stadtverkehr sich verringern sollten.

Interview am 6. Februar 2017

Vertreterinnen und Vertreter aus Verbänden im Bereich der Verkehrssicherheit:

Dipl. Ing. Jörg Ortlepp
Leiter Verkehrsinfrastruktur, Unfallforschung der Versicherer UDV im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV mit Sitz in Berlin

Nach seiner Ansicht hat der Fußverkehr die wesentlichen Vorteile, dass er das Verkehrsklima und damit auch die Verkehrsteilnehmer „beruhigt“ und emissionsfrei ist. Als wesentliche Aspekte, die unbedingt zu einer strategischen Förderung des Fußverkehrs gehören, nannte er die Themenbereiche: Verkehrssicherheit, soziale Sicherheit, Umwegfreiheit (durchgängige Netze), Barrierefreiheit und Attraktivität (Dimensionierung und Gestaltung).

Der Fußverkehr wurde bisher zu wenig beachtet, weil man in der Verkehrsplanung in Deutschland zuerst nur den fließenden motorisierten Verkehr MIV im Auge hatte, dann die Probleme mit dem ruhenden Verkehr und danach setzte die Förderung des Radverkehrs ein und beschäftigte die Verwaltungen. Für den Fußverkehr, so meinte man, muss nicht geplant werden, der finde ohnehin statt. In seiner Ausbildung als Bauingenieur kamen die Fußgänger nicht vor und selbst die Beschäftigung mit dem Radverkehr war unbedeutend. Darüber hinaus fehlt es seiner Meinung nach am Druck auf die Politik, die Zu-Fuß-Gehenden nehmen sich selbst nicht wichtig genug.

Herr Ortlepp hält eine Fußverkehrsstrategie auf kommunaler Ebene und eine gemeinsame Nahverkehrskonzeption für sinnvoll, würde aber einer gemeinsamen Strategie zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs den Vorrang geben. Ab der Landesebene hält er eine eigenständige Fußverkehrsstrategie nicht für sinnvoll und bevorzugt die Einrichtung von Nahverkehrsbeiräten für den Umweltverbund. Auf Bundesebene würde er empfehlen, das Schweizer Drei-Säulen-Modell (MIV/ÖV/Rad+Fuß) zu übernehmen. Den Fuß- und den Radverkehr sollte man auf Bundesebene stets gemeinsam denken, wobei getrennte Beiräte auf Kommunalebene zur Ermittlung von Problemen und Zielvorgaben durchaus sinnvoll sein können.

Interview am 16. September 2016

 

Dr. Detlev Lipphard
Referatsleiter Straßenverkehrstechnik beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat DVR

Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat den Auftrag, darauf hinzuarbeiten, Verkehrsunfälle zu reduzieren. Während die Anzahl schwerer Verkehrsunfälle über die letzten Jahre insgesamt zurückgegangen ist, haben Verkehrsunfälle mit Fußgängerbeteiligung jedoch nur unterproportional an diesem positiven Trend teilgenommen. Als Gründe für die schlechte Unfallbilanz führt Herr Dr. Lipphard an, dass Fußgänger bei Planungen oft stiefmütterlich behandelt werden: Zunächst werde an das Auto gedacht, dann an Busse und Bahnen; und in letzter Zeit werde viel für den Radverkehr getan. Fußgänger gelten immer noch als „Restgruppe“ und bewegen sich in den „Restflächen“.

Langsam gibt es allerdings einen neuen Trend, an die „Ungeschützten“ zu denken, zum Beispiel durch das Thema Barrierefreiheit. Auch die Thematisierung von Tempo 30 als Stadtgeschwindigkeit fügt sich hier ein. Die Veränderung der StVO erleichtert die Anordnung von Tempo 30 vor sozialen Einrichtungen auch an Hauptverkehrsstraßen. Das verbessert die Verkehrssicherheit sowie auch die Aufenthaltsqualität durch bessere Luft und weniger Lärm. Allerdings kann nicht so geplant werden, als wenn der individuelle Kfz-Verkehr ein Auslaufmodell wäre. Der wird auch in Zukunft bestehen, so Herr Dr. Lipphard, dann zunehmend auch als eMobilität. Daher geht es darum, den vorhandenen knappen Raum aufzuteilen. Das neue Denken in Mobilitätsketten ist hierbei sehr zu begrüßen.

Für eine Fußverkehrsstrategie sollte laut Herrn Dr. Lipphard als erster Schritt eine Unfallanalyse erfolgen. Die Daten der Polizei geben Aufschluss darüber, wann, wo, welche Art Verkehrsunfälle geschehen sind. Als zweiter Schritt sollte der Bedarf erhoben werden: Wo gehen Fußgänger entlang, was sind ihre Gewohnheiten und Ansprüche, welche Wegebeziehungen gibt es? Um mehr zu erfahren, sollten auch Zählungen durchgeführt werden, wie sie beim Kfz-Verkehr Standard sind. Ein dritter Schritt ist die Festlegung eines Ziels, zum Beispiel die Erhöhung des Fußverkehrsanteils am Modal Split. Als nächstes folgt eine Betrachtung des gesamten Straßennetzes. Die Erhöhung des Stellenwerts des Fußverkehrs zeigt sich laut Herrn Dr. Lipphard dadurch, dass man Angebote macht, die sicher und angenehm sind, die Spaß machen.

Dabei sollten u. a. die folgenden Aspekte beachtet werden:

  • Herstellung der Barrierefreiheit
  • Neue Aufteilung des Verkehrsraums mit einer Neuordnung des Parkens
  • Überprüfung der Ampelschaltungen
  • Wegequalität/Stolperfallen
  • Säuberung und Winterdienst
  • Beschilderung (am besten mit Zeitangaben).

Ein besonderes Thema der Verkehrssicherheit sind die Ampelschaltungen. Während die Leistungsfähigkeit des Knotens früher eher im Fokus stand, bekommt die Sicherheit der Ampelschaltungen heute einen zunehmend höheren Stellenwert. Allerdings bedeuten längere Grünphasen für Fußgänger eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit, so dass ein Kompromiss entwickelt werden muss. Problematisch sind außerdem die gleichzeitige Grünphase für Fußgänger und Kfz-Abbieger. Diese bezeichnet man auch als „bedingt verträgliche Schaltung“, weil sie die Gefahr von Abbiegeunfällen bergen. „Unbedingt unverträglich“ sind laut Herrn Dr. Lipphard Ampelanlagen an großen Hauptverkehrsstraßen, wo an der Ampel auf der Mittelinsel schon rot, auf der dahinter liegenden aber noch grün angezeigt wird. Solche zweideutigen Schaltungen sollten vermieden werden.

Problematisch für viele Fußgänger ist die Enge der Gehwege. Obwohl die Regelbreite eines Gehweges eigentlich 2,50 m beträgt, sieht die Realität oft anders aus. Selbst wenn die Breite gegeben ist, steht sie oft nicht zur Verfügung, weil sie anders genutzt oder verstellt wird. Zur Neuaufteilung des Verkehrsraums stellt Herr Dr. Lipphard fest, dass der geringe Raum für den Fußverkehr oft nicht an der Enge der Straßen, sondern vielmehr am Kfz-Parken liegt. Autos stehen im Durchschnitt ca. 23 Stunden pro Tag und nehmen dabei viel Raum in Anspruch. Ein Verkehrssicherheitsproblem für Fußgänger ergibt sich durch das Falschparken in Kreuzungs- und Einmündungsbereichen, weil dadurch Sichtbeziehungen eingeschränkt werden. So werden besonders Kinder nicht gesehen, wenn sie plötzlich zwischen parkenden Autos hervortreten. Autofahrer sind sich dieser Gefahr oft nicht ausreichend bewusst. Eine Neuordnung des Parkens in Städten ist daher notwendig. Dabei ist die Wahrung der Sichtbeziehungen das Wichtigste, auch durch bauliche Unterbindung des Falschparkens.

Ein neueres Thema ist laut Herrn Dr. Lipphard die Konkurrenz zwischen den „Ungeschützten“. Derzeit werde im Vergleich viel für den Radverkehr getan, aber das sollte nicht zulasten des Fußverkehrs gehen. Der Radverkehr nimmt zu, und die Angebote entsprechen nicht dem Bedarf. Das führt zu Regelübertretungen. Zum Beispiel wird auf einigen gemeinsamen Geh- und Radwegen die angemessene Geschwindigkeit nicht eingehalten. Außerdem hat die Aggression im Straßenverkehr insgesamt zugenommen.

Nicht alle Konflikte können beseitigt werden. Aber eine vernünftige Verkehrsplanung sollte die lokalen Bedingungen und die Bedürfnisse aller Gruppen betrachten und dabei besonders den Fußverkehr stärker als bisher einbeziehen. Fußverkehrsplanung sollte nie isoliert, sondern immer als ein Teil einer Gesamtverkehrsplanung erfolgen. Schließlich betont Herr Dr. Lipphard, dass zu einer Fußverkehrsstrategie auch ein „Fahrplan“ gehört mit Veranstaltungen und gemeinsamen Begehungen, die Beteiligte zusammenbringen. Eine Strategie kann nicht von außen gegen die Verwaltung, sondern nur als gemeinsames Projekt entwickelt werden, und sollte zudem durch frühzeitige Kommunikation gewährleisten, dass sich die Bürger abgeholt fühlen.

Interview 31. Januar 2017

Vertreterinnen und Vertreter aus Umweltverbänden

Daniel Moser
zum Zeitpunkt des Interviews Campaigner – Mobility/City Design bei Greenpeace Hamburg, derzeit Sustainable Urban Mobility Consultant bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH

Nach Ansicht von Herrn Moser wird der Fußverkehrsanteil am Verkehr oft unterschätzt und daher nicht in dem Maße diskutiert, wie es nötig wäre. Greenpeace konzentriert sich aber nicht auf die Förderung einzelner Verkehrsarten, sondern verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, in dem es um Flächengerechtigkeit geht und darum, einen qualitativ hochwertigen öffentlichen Raum herzustellen, der nicht nur Verkehrs-, sondern auch Aufenthaltsraum ist. Die Förderung des Fußverkehrs muss zum Ziel haben, den öffentlichen Raum zu Fuß erlebbar zu machen.

Obwohl Deutschland im internationalen Vergleich „nicht katastrophal“ dasteht, gibt es laut Herrn Moser doch Aspekte, die das Zu-Fuß-Gehen in deutschen Städten behindern. Autoverkehr durchschneidet Städte und macht Fußwege unattraktiv. Die Entwicklung von Fußwegenetzen hat nur eine untergeordnete Priorität. Dabei sind Umwege für den Fußverkehr schlimmer als für den Autoverkehr. Bei Straßenbaumaßnahmen sollte außerdem von außen nach innen geplant werden.

Dass es kaum strategische Fußverkehrsförderung gibt, liegt laut Herrn Moser am institutionellen Rahmen. Der Fokus der öffentlichen Diskussion liegt heute auf dem motorisierten Individualverkehr (MIV). Das prägt auch die Verwaltung. An den Unterschieden zwischen Städten kann man zwar sehen, dass es durchaus eine gewisse Flexibilität in der Umsetzung gibt,wie man Städte gestaltet. Das liegt an Spielräumen in der Auslegung der Gesetze. Aber die Verwaltung wandelt sich nur sehr schwerfällig. Laut Herrn Moser steht mit dem aktuellen Generationswechsel aber ein Wandel in der Verwaltung an. Es wird immer mehr darüber diskutiert, wie Städte gebaut werden. Ein Beispiel ist die Hamburger HafenCity, wo es Räume für Fußgänger und ein Fußwegenetz gibt.

Herr Moser sprach sich insgesamt für eine integrierte Betrachtung der Verkehrsarten auf allen Regierungsebenen aus. Auf der kommunalen Ebene hielt Herr Moser es für sinnvoll, eine gemeinsame Nahverkehrskonzeption zu entwickeln, denn eine isolierte Fußverkehrsstrategie laufe Gefahr,in der Schublade zu verschwinden. Sie sollte also mit anderen Stadtentwicklungs- und Verkehrskonzepten verknüpft werden. Zum Beispiel ist für eine effektive ÖPNV-Strategie die Betrachtung des Fußverkehrs unerlässlich.

Auf der Bundesebene sprach sich Herr Moser für das Drei-Säulen-Modell nach Schweizer Vorbild aus, in welchem MIV, ÖV sowie Fuß- und Radverkehr integriert betrachtet werden. Da das Auto weiterhin eine gewisse Rolle spielen wird, aber die Infrastruktur für das Auto den Fußverkehr behindert, führen isolierte Betrachtungen in der Umsetzung zu Problemen. Zudem sollte der Bund ein Modal-Split-Ziel festlegen und daraus dann Ziele für Städte und ländliche Regionen ableiten. So sollte zum Beispiel Radverkehrsförderung auf Kosten des MIV gehen, nicht des Fußverkehrs.

Für den Fußverkehr sollten außerdem unabhängige, auch quantitative Ziele entwickelt werden, damit eine Finanzierung gesichert werden kann. Möglich wäre neben dem Modal Split zum Beispiel die Zeit, die Menschen im öffentlichen Raum verbringen. Zur Entwicklung der Ziele sollten sich die entsprechenden Abteilungen in der Verwaltung vernetzen. Allerdings scheitere eine solche Vorgehensweise oft an den Ressourcen.

Als besondere Aufgabe für den Leitfaden für kommunale Fußverkehrsstrategien nannte Herr Moser, dass der Leitfaden auch konkrete Werkzeuge und Anleitungen enthalten sollte, was der einzelne tun kann, ohne sich vorher monatelang mit dem Thema Fußverkehr beschäftigt zu haben, um seine Kommune voranzubringen. Außerdem brauche eine fußverkehrsfreundliche Stadtgestaltung einfache Partizipationsmöglichkeiten und gute Kommunikation seitens der Verwaltung.

Interview 11. Januar 2017

Vertreterinnen und Vertreter aus im Gesundheitsbereich tätigen Verbänden:

Andrea Lambeck
Geschäftsführerin der Plattform Ernährung und Bewegung e.V. peb

Der immense Vorteil des Zu-Fuß-Gehens ist der Beitrag zur körperlichen Aktivität im Alltag. Deshalb ist es wichtig, dass die Bewegung mit eigener Muskelkraft schon von „Kindesbeinen“ an zum Lebensstil von Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohnern gehört. Kinder und Jugendliche können auf ihren Wegen zur Schule oder in der Freizeit die Stadt als Ganzes kennenlernen und erkunden. Der Fußverkehr erzeugt kaum Immissionen. Weniger Luftverunreinigungen und wenig Verkehrslärm erhöhen die Attraktivität von Städten und animieren wiederum zum Gehen. Darüber hinaus ermöglichen viele Fußgängerinnen und Fußgänger ein reges Geschäftsleben („Laufkundschaft“) und soziale Interaktionen.

In einer kommunalen Fußverkehrsstrategie müssen Gesundheit und Bewegung einen hohen Stellenwert einnehmen. Dabei muss unbedingt die Freizeitgestaltung berücksichtigt werden, denn das Spazieren Gehen ist ein wesentlicher Bestandteil städtischer Lebenskultur. Wichtig sind die Sauberkeit und Beleuchtung der Wege sowie eine Wegweisung, die sich nicht nur auf touristische Gegebenheiten konzentriert. Da der Fußverkehr Nachholbedarf hat, sollte man ihn erst einmal getrennt vom Radverkehr betrachten. Mittelfristig muss erreicht werden, dass die Städte wieder zum Gehen einladen und geradezu auffordern.

Nach Auffassung von Frau Lambeck ist der Fußverkehr in deutschen Städten nicht bewusst vernachlässigt worden, sondern die anderen Verkehrsarten waren durchsetzungsstärker und forderten die Planerinnen und Planer stärker heraus. Hinzu kamen z.B. bei Eltern die Angst vor Gefahren für ihre Kinder und ihre eigene Bequemlichkeit. Die „Schnelligkeit“ wurde und wird noch immer in der Mobilität über- und im Vergleich zu anderen Verkehrsarten auch falsch eingeschätzt. Als Fehlentwicklung aber muss die Verlagerung der Einkaufsmöglichkeiten auf die „grüne Wiese“ bezeichnet werden, die den Fußverkehr in der Innenstadt minimierte und damit auch die Attraktivität des Gehens.

Interview am 28. September 2016

Vertreterinnen und Vertreter aus Verbänden, die die Interessen von Nutzergruppen einbringen:

Dipl.-Ing. Architektin Hilke Groenewold und Werner Gläser
Referentin für Barrierefreiheit und Mitglied im Gemeinsamen Fachausschuss Umwelt und Verkehr beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. DBSV

Während viele Menschen ein Verkehrsmittel wählen können, ist das Zufußgehen für Blinde und Sehbehinderte oft eine Notwendigkeit, weil es keine Alternative gibt. Öffentliche Verkehrsmittel fahren nicht überall hin, und so bleiben oft längere Strecken, die zu Fuß zurückgelegt werden müssen.

Eine Grundforderung des DBSV ist deshalb die Herstellung geschlossener Wegeketten. Dabei ist es nicht – wie oft angenommen – notwendig, überall Bodenleitelemente einzusetzen. Eine Hauswand kann zum Beispiel eine gute Leitlinie sein, wenn nicht mobile Elemente wie Auslagen, Außengastronomie oder abgestellte Fahrräder den Weg unterbrechen. Auch kann der Sicherheitsstreifen zwischen Gehweg und Fahrbahn als Leitelement genutzt werden. Wichtig ist hier die sichere Ertastbarkeit, so dass nicht die Gefahr besteht, ungewollt auf die Straße zu treten, und auch hier muss die Freiheit von Einbauten sichergestellt werden.

Es können auch taktil und visuell kontrastierende Materialien, wie Gehwegplatten und Kleinpflaster, als Leitlinien verwendet werden. In manchen Kommunen sollen Entwässerungsrinnen an Plätzen als Leitlinien fungieren. Hierbei ist es wichtig, dass diese eine gewisse Breite und die notwendigen taktilen und visuellen Eigenschaften in Kombination zum Umgebungsbelag aufweisen und dass diese an ein durchgängiges Blindenleitsystem angeschlossen sind.

Bodenleitelemente sind besonders an Querungen und offenen Plätzen wichtig zur Orientierung. Bei Querungen sind zudem die abgesenkten Bordsteinkanten ein Thema: die übliche 3cm-Kante ist tatsächlich nur schwierig ertastbar. Besser ist eine Doppelquerung mit einer vollständigen Absenkung für Rollstuhlfahrer und einer 6cm-Kante, die blinde Personen leicht ertasten können. Auffindestreifen sowie Richtungs- und Sperrfelder weisen auf die richtige Querungsstelle; und Richtungsfelder zeigen die Richtung der Querung an. Besondere Aufmerksamkeit ist auch in der Planung von Kreisverkehren gefordert. Weil hier eine akustische Erkennbarkeit des Verkehrs nicht möglich ist, muss jede Ausfahrt mit einem Zebrastreifen ausgestattet sein.

Insgesamt ist zu bedenken, dass es unter den sehbehinderten und blinden Menschen verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Bedürfnissen gibt. So gibt es zum Beispiel hochgradig Sehbehinderte, die zum Beispiel im Alter ihr Sehvermögen eingebüßt haben. Dies vollzieht sich oft als sehr rapider Prozess, und so fällt es oft schwer, sich in der neuen Situation zurechtzufinden.

Ein besonderes Anliegen in der barrierefreien Mobilität ist Frau Groenewold und Herrn Gläser die Verknüpfung mit dem ÖPNV. Zunächst ist es wichtig, dass die Haltestelle sicher zu Fuß erreichbar ist. Das geht nur in Verbindung mit gesicherten Querungen. Allerdings scheint heute noch oft der fließende Verkehr Vorrang zu haben: Zebrastreifen fallen zunehmend weg, Mittelinseln werden teilweise nicht gebaut, um die Flüssigkeit des Verkehrs nicht zu behindern und Auffahrunfälle zu vermeiden. An den Haltestellen ist es dann oft schwierig, sich zurechtzufinden, da oft mehrere Busse gleichzeitig abfahren und es keine akustischen Ansagen gibt. Zudem gibt es noch immer Radwege im Haltestellenbereich, welche die Leitlinien zur Haltestelle queren.

Radverkehr auf gemeinsamen Flächen ist generell problematisch, weil er praktisch geräuschlos ist und daher nicht wahrgenommen werden kann. Mit den neuen elektronischen Fahrrädern gibt es zudem zunehmend höhere Geschwindigkeiten. Frau Groenewold und Herr Gläser sprechen sich daher für eine strikte Trennung von Geh- und Radwegen aus. Wenn sie auf der gleichen Ebene liegen, dann sollte es einen 30cm breiten taktilen Trennstreifen geben, so dass sowohl Blinde ihn ertasten können als auch Radfahrer spüren, wenn sie vom Weg abkommen. Für gemeinsame Bereiche, wie für den Radverkehr freigegebene Gehwege und Fußgängerzonen ist nach Ansicht der beiden Experten die Zeit noch nicht reif, denn dazu braucht es viel mehr Rücksicht der Radfahrenden als bisher gezeigt wird.

In Bezug auf die Gesetzgebung ist es Frau Groenewold und Herrn Gläser ein Anliegen, dass die bestehenden DIN zum barrierefreien Verkehrsraum und zu den Bodenindikatoren auf Bundes- undLänderebene gesetzlich verankert werden. Es darf nicht sein, dass es Normen gibt, die festlegen wie Bodenindikatoren zu verlegen sind, aber einzelne Bundesländer entscheiden, sie nicht oder sehr verändert umzusetzen. Die Umsetzung geschieht vorrangig auf der Landesebene und auf der kommunalen Ebene. Hier gibt es großen Nachholbedarf in der Planung und im Wissen der Bauverwaltungen. Um diese Lücken zu füllen, ist die Beteiligung der Interessensvertretungen der Blinden und Sehbehinderten sehr wichtig.

Ein wichtiges Thema, das alle Fußgänger und auch Radfahrer betreffen wird, ist schließlich das der leisen Elektrofahrzeuge. Wichtig ist, dass diese Fahrzeuge alle mit einem angemessenen und eindeutig erkennbaren künstlichen Fahrgeräusch (Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS)) versehen werden, so dass Kinder und ältere Menschen sowie blinde und sehbehinderte Menschen diese sicher erkennen. Das AVAS sollte schon jetzt für Neuanschaffungen gesetzlich vorgeschrieben werden, insbesondere wenn öffentliche Mittel für diese Investitionen zur Verfügung gestellt werden – denn gerade die Mischsituation zwischen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren und leisen Elektrofahrzeugen macht die heutige Situation besonders gefährlich.

Telefoninterview am 12. Januar 2017

Edith Aufdembrinke
1.Vorsitzende des Vereines DAGO Kinderlobby e.V. mit Sitz in Hamburg

Der Fußverkehr hat den wesentlichen Vorteil, dass er ein Stück Ruhe in die Stadt bringt, meint Frau Aufdembrinke, dass das Leben entschleunigt wird und man die Stadt wieder intensiver wahrnimmt. Wir sind oft von A nach B unterwegs, ohne nach links und rechts zu sehen. Gerade auch Kinder werden oft im Kinderwagen transportiert, um schneller voranzukommen. Dabei ist es besonders für Kinder wichtig, dass man sie ihre Umgebung entdecken lässt, ihnen den Zeitdruck nimmt. Frau Aufdembrinke schätzt zudem die Flexibilität des Zufußgehens, dass man einfach die Richtung wechseln kann und dass man sich nicht um einen Abstellplatz kümmern muss. In Hamburg gibt es zudem ein gutes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln als Ergänzung zum Zufußgehen.

Ein Konfliktergibt sich in Hamburg derzeitig durch die starke Radverkehrsförderung, wenn die Radfahrer den Raum der Fußgänger für sich einnehmen. Es gibt immer mehr Radfahrer, und diese sind zudem schneller unterwegs, besonders mit den elektrisch unterstützten Fahrrädern. Dann darf es nicht sein, dass Radverkehrsförderung Parks und Spielflächen für Kinder zu gefährlichen Radverkehrsrennstrecken werden lassen. Es muss auch Räume in der Stadt geben, wo man in Ruhe gehen und spielen kann.

Nach Frau Aufdembrinke ist ein wesentlicher Aspekt einer Fußverkehrsstrategie, dass das Miteinander gefördert wird, dass öffentliche Räume zu Begegnungsplätzen werden. Gegenwärtig ist der Fußverkehr geradezu „wegsortiert“. Selbst in Fußgängerzonen geht man lediglich zum Einkaufen, hält sich aber kaum auf. Straßenkünstler sieht man heute viel seltener als früher. Dabei sollte die Stadt den Menschen gehören. Raum zum Verweilen und Klönen und zum Abschalten und Erholen ist wichtig: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.“Dabei können schon ein paar individuelle Sitzgelegenheiten dazu einladen, sich aufzuhalten.

Warum es bisher keine strategische Förderung des Fußverkehrs gäbe, erklärte Frau Aufdembrinke mit der fehlenden Lobby für die Fußgänger. Hinter dem Fußverkehr stehen keine großen Wirtschaftsinteressen wie hinter dem Auto oder mittlerweile auch dem Fahrrad. Frau Aufdembrinke verwies hier auf Kinderrechte, die auch keine Lobby haben. Dabei sind Kinderrechte Zukunftsrechte, und es geht direkt um das Thema Nachhaltigkeit. Trotzdem werden Kinderrechte nachrangig behandelt – es sind eben keine Wählerstimmen.

Bezüglich der Frage nach der strategischen Vorgehensweise zur Förderung des Fußverkehrspräferierte Frau Aufdembrinke zunächst eine getrennte Betrachtung des Fuß- und Radverkehrs, die erst später zusammengeführt wird. Gegeneinander geht es nicht, aber die Radverkehrsförderung ist bereits besser etabliert. Deshalb sollten die Bedürfnisse der Zufußgehenden und die Aufgaben einer Fußverkehrsförderung erst einmal getrennt vom Radverkehr erhoben und ausgearbeitet werden. Danach ist es grundsätzlich gut, alle an einen Tisch zu bringen. Insgesamt sollte aber die derzeitige Priorisierung der Verkehrsarten auf den Kopf gestellt werden: statt dem Autoverkehr sollte den Fußgängern Priorität eingeräumt werden.

Interview am 4. Oktober 2016

 

Prof. Dr. Ursula Lehr
Stellvertretende Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO)

Fußverkehr bringt nach Ansicht von Frau Prof. Dr. Lehr einerseits zweifellos Vorteile für Bürgerinnen und Bürger, sofern sie in der Lage dazu sind. Bewegung in frischer Luft ist gesund, man sieht mehr, nimmt seine Umgebung und auch die Natur intensiver wahr –sofern man nicht eine durch Autoabgase verpestete Luft einatmen muss. Weniger Autoverkehr kommt aber auch den Städten zugute. Andererseits muss aber auch für die Mobilität jener Bürgerinnen und Bürger gesorgt sein, die nicht in der Lage sind, Entfernungen zu Fuß zu überwinden. Und die Anzahl dieser Menschen wird zunehmen.

In Deutschland ist der Anteil der über 70-, über 80- und über 90-jährigen Bevölkerung in den letzten 50 Jahren enorm angestiegen und wird weiter ansteigen. Die Alternsforschung zeigt, dass im höheren Lebensalter bei vielen Menschen mehr und mehr Mobilitätseinschränkungen gegeben sind. Neben Gehbehinderungen durch Knie-,Hüft- oder Rückenproblemen sind es häufig außerdem das Nachlassen der Sehfähigkeit und/oder des Gehörs – die alle zur Unsicherheit als Fußgänger beitragen, besonders in verkehrsreichen Gegenden.

Um Senioren eine eigenständige Mobilität zu erleichtern, sind laut Frau Prof. Dr. Lehr oft Details in der Gestaltung des öffentlichen Raums sehr bedeutend. So werden an erster Stelle Kopfsteinpflaster genannt, die ein sicheres Auftreten erschweren und Angst vor einem Stolpern oder gar Stürzen schüren. Menschen, die auf einen Rollator angewiesen sind, leiden unter Kopfsteinpflaster besonders, aber auch jene, die einen Gehstock benutzen. Dann werden Schäden an Gehwegen – wie lockere Gehwegplatten oder auch herausstehende Baumwurzeln – beklagt, die schon am hellen Tag für ältere Fußgänger eine Last sind, die aber erst recht bei Dunkelheit und schlechter Beleuchtung zum Hindernis werden. Die Angst vieler älterer Menschen vor Stürzen sollte man nicht unterschätzen, so Lehr. Ein weiteres Problem sind Stufen oder gar Treppen, besonders wenn sie nicht einmal einen Handlauf haben oder auch wenn die erste und letzte Stufe nicht markiert ist. Geradezu gefährlich werden Treppen, die an der ersten oder auch letzten Stufe als Schmuck einen Blumenkübel stehen haben, der den Benutzer zwingt, den Handlauf loszulassen. Ähnlich gefährlich erweisen sich jene – meist älteren – Treppen, bei denen der Handlauf vor der letzten Stufe endet und so das Gefühl vermittelt, schon auf ebener Strecke zu sein. Auch Bordsteine haben oft Mängel: Sie sind häufig bei Straßenübergängen nicht kontrastreich markiert und manchmal auch zu hoch.

Ein besonderes Problem für ältere Fußgänger (aber auch für Menschen, die einen Kinderwagen schieben) sind schließlich die mit parkenden Autos vollgestellten verengten Gehwege. Einige Senioren sind nun einmal auf Begleitung angewiesen, müssen sich einhaken, aber manchmal haben dann auf den Gehwegen zwei Menschen nebeneinanderkeinen Platz.

Wichtig für eine Fußverkehrsstrategie wäre das Thema der gesicherten Querungen. Ampelübergänge oder Zebrastreifen sind oft nicht an den richtigen Orten. Für jemanden, der nicht gut zu Fuß ist, sollten die Querungen möglichst direkt am Zielort sein und nicht für unnötige Umwege sorgen. An breiten Hauptverkehrsstraßen sollte es Ampelanlagen mit Mittelinseln geben und für seh- und hörbehinderte Menschen optisch und akustisch wahrnehmbare Signale.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, der ältere Fußgänger in die Städte locken könnte, sind hinreichend Sitzgelegenheiten, denn vielen älteren Menschen geht auf längeren Wegen schon einmal die Puste aus, oder sie haben Rückenleiden, so dass sie nicht so lange auf den Beinen sein können. Dazu braucht es nicht immer eine Bank; auch ein Mäuerchen reicht manchmal aus, um sich kurz anzulehnen bzw. abzustützen – wie die Untersuchung in Griesheim bei Darmstadt „die besitzbare Stadt“ gezeigt hat.

Ein weiteres Problem sind die fehlenden Parkmöglichkeiten nahe der Städte und Verkaufszentren, die ältere Menschen von einem Stadtbummel fernhalten, da sie oft so lange Wege nicht mehr gehen können. Schließlich ist auch die Verbindung von Fußverkehr und ÖPNV wichtig. Wie viele Ältere scheuen den Busverkehr, zum einen wegen der oft langen Wartezeiten an Bushaltestellen die nicht einmal eine Sitzgelegenheit haben! Zum anderen wegen der hohen Stufen, die beim Ein-und Aussteigen zu bewältigen sind. Hier brauchen wir Bänke an den Haltestellen und Niedrigflurbusse, die es in einigen Städten schon seit Jahrzehnten gibt.

Gar nicht seniorenfreundlich sind die meisten Bahnhöfe. Das beginnt bei den Fahrkartenautomaten, deren Bedienungsanweisung manchmal auch jungen Fahrgästen Kummer macht. Das Hauptproblem sind aber hier auch die Treppen sowohl zum Betreten des Bahngebäudes als auch vor allem zwischen den einzelnen Bahnsteigen. Bundesweit sind nur 75% der Bahnhöfe stufenfrei. Diese Kritik betrifft keinesfalls nur kleine Bahnhöfe mit Regionalverkehr; zum Beispiel gibt es in Fulda, einem wichtigen Umsteigebahnhof, noch keine Rolltreppe, auch keinen Fahrstuhl. Dort muss man viele Stufen Treppen steigen! Folge: Seniorinnen und Senioren meiden Fulda – genau wie eine Bahnfahrt nach Stuttgart, wo man wegen der Dauerbaustelle lange Fußwege laufen muss, wozu manch einer nicht mehr fähig ist.

Zum Thema Fuß- und Radverkehr weist Frau Prof. Dr. Lehr darauf hin, dass es ältere Menschen gibt, die als Fußgänger Angst vor Radfahrern haben, die oft nicht gerade vorsichtig und rücksichtsvoll sind. Ältere meiden Wege, die gleichzeitig sowohl für Radfahrer als auch für Fußgänger benutzbar sind. In der Planung sollte Rad- und Fußverkehr daher besser erst einmal getrennt betrachtet werden.

Während Frau Prof. Dr. Lehr die Vereinheitlichung mancher„Hilfsmittel“ der Mobilität, wie zum Beispiel der Fahrkartensysteme des öffentlichen Nahverkehrs, als Aufgabe auf Bundes- und Landesebene sieht, ist die Streckenführung eines Fußwegenetzes und die Frage einer barrierearmen Stadtgestaltung eine Aufgabe der Kommune. Mobilitätssicherung ist lokal zu erarbeiten. Als eine mögliche Herangehensweise würde Lehr an die Seniorenräte oder -beiräte der Kommunen appellieren, vor Ort mit Hilfe der dort ansässigen Bürgerinnen und Bürger Barrieren aufzuspüren, zu identifizieren, der jeweils zuständigen Stelle zu melden und für deren Behebung zu sorgen.

Telefoninterview am 12. Dezember 2016

 

Andreas Kammerbauer
Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft der Hörgeschädigten sowie Gesundheits- und sozialpolitischer Sprecher des Deutschen Schwerhörigenbundes

Wenn das Auto stehen gelassen und Wege zu Fuß und mit öffentlichen Verkehrsmitteln unternommen werden, ist einer der wichtigsten Aspekte für Gehörlose und Hörgeschädigte die Kommunikation. Bestehende Lärmkulissen, schlechte Lautsprecherqualität, undeutliche Sprache oder auch Dialekte machen es Hörgeschädigten schwer, Signale zu hören und Ansagen sprachlich zu verstehen. Herr Kammerbauer spricht sich deshalb für eine Gestaltung der Signale im öffentlichen Raum nach dem Zwei-Sinne-Prinzip aus, das heißt mindestens ein akustisches und ein visuelles Signal. Für taubblinde Menschen ist zusätzlich ein ertastbares Signal wünschenswert, wie es zum Beispiel an einigen Ampeln existiert. Außerdem sollten Störgeräusche im öffentlichen Raum minimiert werden, damit akustische Signale auch wahrgenommen werden können. Verkehrslärm im Allgemeinen stellt ein Problem dar; besonders laut ist der Autoverkehr auf Kopfsteinpflaster bei höheren Geschwindigkeiten.

Das Thema Verkehrssicherheit, vor allem der Umgang der Verkehrsteilnehmer untereinander, hat für Gehörlose und Hörgeschädigte besondere Bedeutung, weil andere Verkehrsteilnehmer oft davon ausgehen, dass alle sie hören können und entsprechend reagieren und aus dem Weg gehen werden. Wenn jemand dann nicht reagiert, kann es zu gefährlichen Situationen kommen. Daher bewertet Herr Kammerbauer die Versuche zu „Shared Space“ sehr kritisch. Um sicher und entspannt zu Fuß gehen zu können, brauchen Hörgeschädigte und Gehörlose einen vom Autoverkehr getrennten geschützten Raum. Sonst wird das Auto als sicherere Alternative vorgezogen.

Vor allem aber braucht es mehr Rücksichtnahme von allen Verkehrsteilnehmern. Herr Kammerbauer weist dabei auf das Verkehrschaos wochentags vor vielen Schulen und am Sonntag vor der Kirche hin, wo rücksichtslos gefahren werde. Man sollte so fahren, dass man Fehler der anderen oder unvorhergesehene Situationen ausgleichen kann.

Ein Grund für die mangelnde Aufmerksamkeit, die dem Thema Fußverkehr entgegen gebracht wird, ist die herrschende Autofahrerperspektive. Man bekomme ja schon „vorn Bug geschossen“, wenn man nur Gleichberechtigung fordere, so Herr Kammerbauer. Nur der kleinste Teil der Bevölkerung geht ausschließlich zu Fuß. Das liegt auch daran, wie die Stadt strukturiert ist mit Einkaufsmöglichkeiten außerhalb des Stadtzentrums, größeren Discountern und Supermärkten am Stadtrand.

Wenn man möchte, dass mehr Menschen zu Fuß einkaufen gehen, dann muss nicht nur das Angebot da sein, sondern die Menschen müssen auch Lust haben, es zu nutzen. ÖPNV-Haltestellen in regelmäßigen Abständen, ausreichend lange Ampelphasen für die weniger schnellen Fußgänger sowie Bänke zum Ausruhen, möglichst an geräuscharmen, verkehrsberuhigten Orten erleichtern den Weg zu Fuß.

Eine politische Aufgabe ist nach Ansicht von Herrn Kammerbauer ein Wechsel von der Konzentration auf den Neubau von Straßen hin zu mehr Aufmerksamkeit und Investitionen für die Erhaltung der Fußwege. Diese sind oft marode und weisen zum Beispiel Wurzelschäden auf. Eine wichtige Aufgabe ist es, Barrierefreiheit im Altbestand herzustellen.

Interview am 18. Januar 2017

 

Wolfgang Pabel
Stellvertretender Vorsitzender und Pressesprecher des Bundeselternrates

Wir stehen am Anfang einer Kulturrevolution, so Herr Pabel. Mit der Nutzung mobiler Technologie haben sich Kindheit und Jugend grundlegend verändert. Kinder organisieren sich nicht nur über das Handy, sie schaffen sich darüber hinaus eine eigene Lebenswirklichkeit mit neuen Kommunikations- und Beziehungsformen. Das ist eine Realität, in der das Zufußgehen eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Daher muss ein erster Schritt zu einer strategischen Fußverkehrsförderung eine Wertediskussion darüber sein, ob das Zufußgehen in der digitalen Gesellschaft noch einen Wert hat und damit erhaltenswert ist. Dabei sollte auch mit einbezogen werden, dass das Zufußgehen heute oft als Weg von A nach B „verzweckt“ wird, es aber auch einen Wert haben kann, ohne Ziel zu Fuß zu gehen. Herr Pabel sieht das Problem, dass durch den Verlust des Zufußgehens sich der Bezug zu dem eigenen Wohnort und der Umweltverändert. Wenn man sich nur im Auto bewegt oder in der virtuellen Welt aufhält, kann man Umwelt nicht erleben und kennenlernen, und wenn man sie nicht kennt, ist es schwieriger einen Grund dafür zu finden, warum man sich um die Umwelt kümmern sollte.

Wenn Zufußgehen als wichtig bewertet wird, stellt sich die Frage, wie man in dieser digitalen Welt die Erfahrung des Zufußgehens erhalten und wiederbeleben kann. Zufußgehen sollte zum einen sicher und zum zweiten angenehm gestaltet werden. Wir müssen Räume schaffen, in denen es Spaß macht zu Fuß zu gehen, so Herr Pabel. Ein spezielles Anliegen ist Herrn Pabel das Thema Schulwegsicherheit. Dabei ist es besonders dringend, die Situation auf dem Land anzugehen. Wegen des Zuzugs in die Städte werden auf dem Land Schulen zusammengelegt. So kommen im Sekundarbereich Schuleinzugsgebiete von bis zu 50 Kilometern Durchmesser zustande und der Fußverkehrsanteil an den Schulwegen liegt im Vergleich zum Grundschulbereich sehr niedrig. Da bei solchen Distanzen nicht der ganze Weg zu Fuß zurückgelegt werden kann, sind hier die Wege zu den Bushaltestellen und das Haltestellenumfeld bedeutend. Allerdings liegen die Bushaltestellen auf dem Land teilweise an Landstraßen, auf denen mit bis zu 80 km/h gefahren wird, und die Aufstellflächen sind oft zu knapp für eine größere Gruppe von Schülern. So kommt es dazu, dass viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule fahren und diese sogenannten Eltern-Taxis zum Sicherheitsrisiko für andere Kinder werden.

Viele Menschen verstehen das Autofahren als Kulturgut. Eine Veränderung der Haltung und damit auch des Verhaltens kann allerdings nicht mit dem Zeigefinger erreicht werden. Bildung und Selbsterkenntnis sind wichtige Aspekte; ideologische Debatten dagegen scheitern regelmäßig. Es gilt, sich mit Respekt mit dem Verhalten auseinanderzusetzen, das verändert werden soll, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und Kompromisse zu schließen. Eine neue Haltung ist nur im Konsens zu entwickeln.

Ein weiterer Aspekt für eine Fußverkehrsstrategie ist die Notwendigkeit eines Masterplans. Herr Pabel priorisiert eine gemeinsame Nahverkehrskonzeption auf der kommunalen Ebene. Auf den übergeordneten Regierungsebenen sollten keine Strukturentscheidungen getroffen werden, sondern eher Informationen zusammengetragen und eine Plattform zur Vernetzung bereitgestellt werden, damit besser auf der kommunalen Ebene agiert werden kann. Auch die Finanzierung sollte in den oberen Regierungsebenen bereitgestellt werden. Die Frage nach der gemeinsamen oder getrennten Betrachtung des Fuß- und des Radverkehrs sollte ortsabhängig beantwortet werden und sich immer an den Bedürfnissen der Anwender orientieren.

Interview am 11. Januar 2017